Gute Noten, aber zu wenig Personal für häusliche Pflege
Immer mehr Menschen brauchen ambulante Pflege, aber immer weniger Fachkräfte übernehmen diese Aufgabe. Im Fichtelgebirge ist die Kluft besonders groß. Thomas Ulbrich, BRK-Kreisgeschäftsführer, will gegensteuern. Frankenpost Brigitte Gschwendtner
Marktredwitz Kein guter Morgen für Jette Leicht: Ihr Hörgerät ist weg. Doch kaum kommt Vanessa Werner zur Tür herein, vergisst die alte Dame ihren Ärger. Die BRK-Pflegehelferin zaubert der Rentnerin ein Lächeln ins Gesicht. „So ein lieber Mensch, die Vanessa“, schwärmt die 95-Jährige, während sie sich beim Waschen und Anziehen helfen lässt. Die 22-Jährige gibt das Kompliment gerne zurück: „Frau Leicht ist mir ans Herz gewachsen.“
26 Mitarbeiter des ambulanten Rot-Kreuz-Dienst versorgen derzeit 221 Patienten im Landkreis Wunsiedel. Damit sei das Rote Kreuz in der Region ein mittelgroßer Anbieter, sagt Thomas Ulbrich, Kreisgeschäftsführer des BRK-Kreisverbands Wunsiedel mit Sitz in Marktredwitz. Insgesamt bieten im Fichtelgebirge rund 30 Pflegedienste ihre Hilfe an.
Viele halten nicht bis zur Rente durch
Wie im gesamten Gesundheitswesen gebe es auch im ambulanten Pflegebereich viel zu wenig Personal, erklärt Ulbrich. Der Bedarf steigt stetig: Oberfranken verzeichnt den höchsten Wert in Bayern – hier brauchen 61 von 1000 Bewohnern Pflege. Der Landkreis Wunsiedel belege den vierten Platz, erklärt der BRK-Kreisgeschäftsführer. Das Institut der Deutschen Wirtschaft schätzt, dass in der ambulanten Pflege in zehn Jahren 200 000 Kräfte fehlen werden.
Der demografische Wandel, der Kostendruck durch die Krankenkassen und politische Fehlentscheidungen führten dazu, dass die wenigen vorhandenen Pflegekräfte extrem unter den schwierigen Arbeitsbedingungen litten und oft lange vor der Rente ausschieden, erklärt Ulbrich. Was bedeutet das für die Betroffenen, die Hilfe brauchen? „Ich glaube nicht, dass Sie im Fichtelgebirge schon beim ersten Anruf einen Pflegedienst finden“, sagt Ulbrich. Denn die Lage sei angespannt. Das hänge auch mit der Kostenerstattung zusammen. Je ländlicher die Strukturen, desto länger die Wege. „Bei kürzeren Fahrzeiten erwirtschafte ich ein anderes Einkommen.“ Heißt das, Pflegebedürftige in Städten haben größere Chancen auf ambulante Hilfe als diejenigen, die auf einem Einödhof leben? Ziel eines Wohlfahrtsverbands sei, die gesamte Gesellschaft zu versorgen – selbst wenn eine Anfrage unrentabel sei, betont der BRK-Chef.
Kassen versuchen, die Kosten zu drücken
„Aber auch wir haben nur begrenzte Kapazitäten. Mehr hochzufahren als bis zur kompletten Auslastung geht nicht.“ Was den enormen finanziellen Druck verstärke, sei ein weiterer Spagat: Zum einen gelte es, den Mitarbeitern ihre tariflichen Gehaltserhöhungen zu bezahlen, zum anderen müsse man dem Kostendruck der Kassen standhalten.
Zusätzliche Probleme entstünden, weil fast alle Patienten morgens gegen 7.30 Uhr gewaschen werden möchten. „Das geht halt nicht. Aber sobald es zeitliche Verschiebungen gibt, führt das zu Unstimmigkeiten.“ Zu bestimmten Kernzeiten könnten ambulante Pflegedienste doppelt so viele Mitarbeiter brauchen.
Erschwerend hinzu kämen die ständigen Personal-Rotationen. Denn da es viele offene Stellen gebe, wachse die Zahl der Jobhopper, die sich mal hier und mal da anstellen ließen. „Das schafft Unruhe bei Patienten und im Mitarbeiter-Team.“ Weitere Engpässe entstünden dann, wenn Frauen in dem jungen Team schwanger seien. Sie fielen von heute auf morgen aus dem Dienstplan raus. „Aber auf der Stelle findet sich einfach kein Ersatz.“
Personalausfall und Bewerbermangel führten auch beim BRK im Fichtelgebirge in der Vergangenheit zu Mehrbelastungen für das Stammpersonal: Stress, Zeitdruck und Überstunden nahmen zu – Gesundheit und Privatleben litten.
Dienstplan-Änderung macht es leichter
Gegenzusteuern sei unumgänglich, um den Beruf und vor allem auch die Ausbildung für junge Bewerber attraktiver zu machen, sagt Ulbrich. Ein faires Gehalt, flache Hierarchien und spezielle Azubi-Anreizsysteme führten beim Roten Kreuz zu ersten Erfolgen. Außerdem änderte der Wunsiedler BRK-Kreisverband die Dienstpläne der ambulanten Pflegekräfte: Wer Frühschicht hat, muss keine Spätschicht schieben und für Notfälle gibt es eine eigene Rufbereitschaft. Das mache die Freizeit verlässlich planbar.
Doppelspitze hat sich bewährt
Zwar sei der Wunschbedarf noch nicht gedeckt – zwei Stellen seien weiter offen – aber immerhin blieb der Personalschlüssel seit den Umstrukturierungen beim ambulanten Rot-Kreuz-Dienst im Fichtelgebirge stabil. Bewährt habe sich auch die Doppelspitze mit zwei gleichberechtigten Pflegedienstleistungen. „Zufriedene Mitarbeiter sind wichtig. Denn nur dann springt der Funke über, mit dem unsere Kräfte auch unsere Kunden glücklich machen können.“
Wie bei Vanessa Werner: Ihr gefällt der Beruf so gut, dass sie sich beim BRK von der Pflegehelferin zur Pflegekraft weiterbilden lässt, um „den Leuten noch mehr helfen zu können“. Man bekomme von den Patienten viel zurück, sagt die 22-Jährige. „Es ist schön, wenn sich die Leute freuen und bedanken.“
Im Landkreis Wunsiedel bieten rund 30 Pflegedienste ihre Hilfe an. Die Gefahr, an ein schwarzes Schaf zu geraten, ist gering. Denn bei der regelmäßigen Qualitätsprüfung des medizinischen Dienstes schneiden alle Anbieter gut ab.
Die Prüfung umfasst vier Bereiche: die Grundpflege, die ärztlich verordnete Behandlungspflege, die Dienstleistung und Organisation sowie eine Befragung der Pflegebedürftigen, also eine Kundenbefragung.
Eine glatte 1,0 bekam nun der ambulante Dienst des Roten Kreuzes, freut sich Thomas Ulbrich, Kreisgeschäftsführer des BRK-Kreisverbands Wunsiedel: „Wir stehen bei der Pflegenote an oberster Spitze. Mehr als 1,0 geht nicht.“ Dies sei eine echte Auszeichnung die Pflegefachkräfte.
„Sie machen eine hervorragende Arbeit.“ Durchschnittlich erreichten die ambulanten Pflegedienste in Bayern die Note 1,3, erklärt Ulbrich. Meistens sei auch das BRK im Fichtelgebirge in diesem Bereich zu finden gewesen. Vor ein paar Jahren schaffte es das Team auch schon einmal an die Spitze und erreichte die Note 1,0.
Nur bei einer einzigen Prüfung im Jahr 2023 lag das Ergebnis für den Dienst des BRK-Kreisverbands Wunsiedel lediglich bei 2,3. Unglücklicherweise wechselte kurz vorher die Pflegedienstleitung samt ihrer Stellvertreterin, sagt Ulbrich. „Seitdem haben wir die Prozesse optimiert und das Personal noch mehr qualifiziert.“
Die Beurteilungen der einzelnen Anbieter gibt es auf Pflegekassen-Portalen
wie dem AOK-Pflegenavigator,
dem BKK Pflegefinder und
dem Ersatzkassen-Pflegelotse.