Astrazeneca lässt Telefone heiß laufen
Gut tausend Anrufe gehen pro Tag im Callcenter des Impfzentrums ein. Manche Impfwilligen brechen in Tränen aus, wenn sie mit dem umstrittenen Vakzin geimpft werden sollen.
Die Zahlen sprechen für sich: Im Wunsiedler Impfzentrum sind aktuell (Stand Freitag) etwas mehr als 840 Impfdosen von Astrazeneca, 2000 von Biontech und 300 von Moderna gelagert. Am heutigen Samstag erwartet das Team vom BRK noch einmal 2184 Dosen von Biontech. Diese sind auch notwendig, hat das Impfzentrum doch seit Karfreitag die Kapazitäten noch einmal kräftig hochgefahren. Nach 492 Impfungen am Freitag sind für den heutigen Samstag 1085, für Sonntag 576, für Montag 519 und für Dienstag 734 Impftermine vereinbart. Daher sind außer den medizinischen Assistenten und dem Verwaltungspersonal permanent neun Ärzte vor Ort.
Hinter den Kulissen setzt das BRK ebenfalls auf zusätzliche Kräfte. "Wir haben unser Callcenter noch einmal um zwei Mitarbeiter aufgestockt. In Wunsiedel sitzen nun immer zwei und im BRK-Haus in Marktredwitz sogar vier Kräfte an den Telefonen", sagt BRK-Kreisgeschäftsführer Thomas Ulbrich auf Nachfrage. Allein am Mittwoch registrierte die computergesteuerte Telefonanlage 1122 Anrufe. Als die Frankenpost vor Ort im Callcenter in Marktredwitz ist, sind bereits nach zwei Stunden und zehn Minuten genau 402 Anrufe aufgelaufen. "Viele Menschen haben nach all den Nachrichten Angst, sich mit Astrazeneca impfen zu lassen. Die Verunsicherung ist riesig", sagt Anja Seifert, die seit mehreren Wochen im Marktredwitzer Callcenter Dienst leistet und zuvor im Impfzentrum in Wunsiedel beschäftigt war. Die Erfahrungen und das Wissen, die sie in der Festspielstadt gemacht und erworben habe, kämen ihr nun am Telefon zugute. "Manchmal führe ich regelrecht therapeutische Gespräche, um den Menschen Ängste zu nehmen und mit ihnen zu einer guten Lösung zu kommen." Derzeit fragen viele Anrufer an, die für einen Termin für eine Impfung mit Astrazeneca vorgemerkt sind, ob sie diesen verschieben können. Letztlich wollen sie ein anderes Vakzin erhalten. Auch hierum kümmern sich die Rot-Kreuz-Mitarbeiter, die an den Telefonen von Soldaten der Bundeswehr unterstützt werden.
"Immer wieder führen wir auch sehr traurige Gespräche, etwa wenn, wie kürzlich, eine Mutter anruft und sagt, ihr Sohn sei inzwischen verstorben. Es gibt mir schon zu denken, wenn ich höre, unter welchen Vorerkrankungen viele Menschen leiden. Da wird einem erst bewusst, welch' Glück es ist, jeden Tag gesund aufstehen zu können."
Pro Schicht schafft Anja Seifert 60 bis 80 Anrufe. Die Telefone sind täglich in der Zeit von 9 bis 16 Uhr freigeschaltet. "Gerade jetzt, da viele Bedenken haben, sich mit Astrazeneca impfen zu lassen, dauern Gespräche schon mal 20 Minuten. Wenn es lediglich um einen Termin geht, benötigen wir vielleicht drei, vier Minuten." Rein rechnerisch schaffen die sechs Mitarbeiter an den Telefonen rund 480 Anrufe pro Tag. Ulbrich: "Es ist klar, dass viele Bürger nicht durchkommen und sich ärgern, wenn wir mehr als tausend eingehende Anrufe registrieren. Daher empfehlen wir allen, sich auch am Wochenende zu melden. Samstag und Sonntag ist erfahrungsgemäß weit weniger los." Übrigens ist das Callcenter während der Osterfeiertage besetzt.
Bereits vor 9 Uhr und auch nach 16 Uhr sitzen die Mitarbeiter weiterhin am Telefon. "In diesen Zeiten rufen sie die Impfwilligen im Landkreis an und vergeben Termine. Häufig enden die Arbeitstage daher erst gegen 19 Uhr."
Auch im Impfzentrum dauern die Schichten häufig bis in den Abend hinein. "In jüngster Zeit verspüren die Impfärzte einen verstärkten Aufklärungsbedarf. Manchmal wird daher noch um 19 Uhr geimpft."
Anja Seifert hat während ihrer Arbeit im Impfzentrum erlebt, welche inneren Konflikte Impflinge austragen mussten. "Da sitzen Frauen beim Impfarzt, die zittern und Tränen in den Augen haben, weil sie nicht wissen, wie sie sich entscheiden sollen. Sie sind total verunsichert. Einerseits fürchten sie, die Impfung könnte sich auf die Schwangerschaft auswirken. Andererseits haben sie natürlich Angst, sich mit dem Virus anzustecken. Da dauert die ärztliche Aufklärung schon mal eine halbe Stunde."
Der britisch-schwedische Astrazeneca-Impfstoff ist zwar hoch umstritten, die vorhandenen Dosen werden dennoch nicht entsorgt. An den Ostertagen impfen die Ärzte im Impfzentrum allerdings nur Biontech und Moderna. "Zum Glück ist Astrazeneca weniger kompliziert zu lagern und aufzubewahren."
Dennoch: Die immer wieder neuen Entscheidungen zu Priorisierungen und zum Astrazeneca-Impfstoff (erst sollten damit nur die unter 65-Jährigen geimpft werden, nun wiederum nur die älteren) belastet die Mitarbeiter im Impfzentrum und im Callcenter zusätzlich. So mussten sie diese Woche kurzfristig mehr als hundert Impfwillige "umbuchen", die eigentlich Astrazeneca erhalten sollten, aber "zu jung" waren.
Mittlerweile liegen offenbar auch im Landkreis Wunsiedel bei vielen Menschen die Nerven blank, sodass dem Sicherheitsdienst am Impfzentrum eine viel wichtigere Bedeutung zukommt. Vor wenigen Tagen war ein Pärchen schon um 8 Uhr vor Ort, obwohl der Mann erst nach 9 Uhr einen Termin hatte. Er bat den Mitarbeiter der Sicherheitswacht, ihn auf die Toilette im Impfzentrum zu lassen, was dieser auch tat. Allerdings kam der Patient nicht mehr freiwillig heraus und bestand darauf, sofort geimpft zu werden. Da dies erst ab 9 Uhr möglich war, beschimpfte er die Sicherheitswacht und das BRK als "Nazis". "Auch derartige Vorkommnisse gibt es. Zum Glück sind sie die Ausnahme. Wir halten uns lediglich an die Vorgaben und organisieren den Betrieb so, dass möglichst schnell, möglichst viele Menschen geimpft werden können", sagt Ulbrich.
Tatsächlich sind mittlerweile rund 15 Prozent der Landkreisbevölkerung geimpft (Erst- und Zweitimpfung). Der Landkreis Wunsiedel liegt damit in Bayern mit an der Spitze. Das Impfzentrum ist unter der Telefonnummer 09232/6008959 zu erreichen.