Extreme Logistik für extreme Situationen
In jeder Ecke des Landkreises, zu jeder Tageszeit müssen die Retter des Roten Kreuzes Hilfe leisten können. Damit dies klappt, sind nicht nur die angestellten Mitarbeiter verantwortlich, sondern auch eine ganze Reihe ehrenamtliche Helfer notwendig.
Schwerer Verkehrsunfall in Selb, Herzinfarkt in Nagel, Schlaganfall in Weißenstadt. An manchen Tagen kommt alles zusammen, und das zur selben Zeit. Jetzt zählt jede Sekunde. Für eine ganze Reihe von Menschen beginnt nun Stress pur: Die Mitarbeiter der Integrierten Leitstelle koordinieren von Hof aus den Einsatz, die Notfallsanitäter in Marktredwitz springen in ihre Rettungswagen und in Weißenstadt lässt der ehrenamtliche Sanitäter alles liegen und stehen, um mit dem Einsatzfahrzeug schnell die Erstversorgung zu übernehmen.
"Wir garantieren allen Bürgern, innerhalb kürzester Zeit Hilfe zu leisten. Niemand bleibt draußen liegen", sagt der Geschäftsführer der BRK-Kreisverbandes, Thomas Ulbrich, im Gespräch mit der Frankenpost. Hinter all den Einsätzen stehe eine riesige Organisation und Logistik. Aber vor allem seien es die Menschen, die da seien, wenn es darauf ankomme. "Auf die Arbeitszeit sieht niemand."
Zwölf Minuten
Zwölf Minuten beträgt die gesetzliche Hilfsfrist. Innerhalb dieser Zeit müssen die Retter am Ort des Geschehens sein. "Das ist in Ballungsräumen kein Problem, in einem ländlichen Raum wie dem Fichtelgebirge aber so gut wie unmöglich. Wir werden den Landkreis nie zu hundert Prozent abdecken können", erläutert der Leiter des Rettungsdienstes, Christian Schwarz. Würden sie es versuchen, wären nicht nur die fünf bestehenden Rettungswachen notwendig, sondern 15. "Das lässt sich natürlich nicht finanzieren."
Hier kommen die Ehrenamtlichen ins Spiel, ohne die es nicht geht. Wie zum Beispiel Christian Kade aus Weißenstadt. Er ist ein sogenannter Helfer vor Ort und beginnt wie seine Kollegen im Fall der Fälle mit der Erstversorgung, bis Notarzt und Notfallsanitäter eintreffen. "Wir decken vor allem die Zeit von 18 bis 6 Uhr, die Wochenenden und die Feiertage ab", sagt Kade. 24 Stunden, sieben Tage die Woche wäre zwar wünschenswert, ist personell aber nicht zu realisieren.
Bedeutet dies nun, dass zum Beispiel ein Schlaganfallpatient in Weißenstadt werktags schlechtere Karten hat als einer in den Orten Marktredwitz, Selb, Wunsiedel, Kirchenlamitz oder Röthenbach-Arzberg, in denen es eine Rettungswache gibt? "Nein", beruhigt Thomas Ulbrich. Während der Woche seien in der gesamten Region wesentlich mehr Krankentransporte unterwegs, deren Fahrer ausgebildete Sanitäter seien und im Notfall zur Erstversorgung gerufen werden.
Die Mitarbeiter der ILS Hochfranken in Hof sehen auf ihren Monitoren auf den Meter genau, wo gerade ein Kranken- oder Rettungswagen unterwegs ist. "Sämtliche Fahrzeuge sind mit GPS ausgestattet und können so jederzeit geortet werden", erläutert Ulbrich. Wenn nun zum Beispiel im Falle Weißenstadt eine Frau einen Schlaganfall erleidet und bei Voitsumra ein Krankentransporter fährt, wird er sofort zum Einsatz beordert. Es ist auch mal möglich, dass Rettungssanitäter aus anderen Regionen zur Hilfe eilen. Vor einiger Zeit staunten der Patient und die Angehörigen aus einer Stadt im Fichtelgebirge, als Sanitäter der Feuerwehr München mit ihrem Fahrzeug zur Erstversorgung vorfuhren. Sie waren wegen eines Transportes in der Nähe, weshalb die Notfallkoordinatoren der ILS sie zur Hilfe riefen.
Während der hauptamtliche Rettungsdienst nach einem genauen Schlüssel von den Krankenkassen finanziert wird, muss das Geld für die vielen ehrenamtlichen Bereiche des BRK aus anderen Quellen kommen. Unter anderem gründeten Mitglieder in Schirnding, Nagel, Weißenstadt und Marktleuthen eigens Fördervereine nur für diesen Zweck. "Die Fahrzeuge der Helfer vor Ort sind im Rettungsdienstgesetz nicht vorgesehen. Die Fördervereine stellen deshalb alle möglichen Aktionen auf die Beine, damit in den etwas entlegeneren Orten diese wichtige Hilfe überhaupt möglich ist."
Die Rettungsfahrzeuge der Ehrenamtlichen werden unter anderem aus Mitteln des Katastrophenschutzes bezahlt, da diese unter anderem für extreme Situationen vorgesehen sind, um Spitzen abzudecken. Das Material, also Medikamente, Desinfektionsmittel oder Verbandszeug und den Unterhalt des Fahrzeuges müssen die Ehrenamtler selbst finanzieren. Auch für die Ausbildung und die Weiterqualifizierungen der Retter ist kein öffentliches Budget vorgesehen. Hier unterstützt der Kreisverband. Pro Einsatz zahlen die Kostenträger, also die Kassen 800 Euro. Da die Wagen logischerweise weniger häufig benötigt werden als die in den Wachen, sind sie per se "unterfinanziert", wie es in der Wirtschaft heißt. Auch deshalb sind laut Ulbrich Fördermitgliedschaften oder die Frühjahrs- und Herbstsammlungen so wichtig.
Die Ehrenamtler haben noch viel mehr zu bieten, wie Kreisbereitschaftsleiterin Petra Drewello sagt. Unter anderem unterhält das BRK in Marktleuthen eine große Feldküche, die zuletzt den Helfern im Ahrtal gute Dienste leistete. Sogar eine Gruppe, die für große Übungen die "Opfer" schminkt, gibt es - und zwar in Weißenstadt.
1576 Frauen, Männer und Jugendliche aus dem Landkreis sind derzeit ehrenamtliche Mitglieder beim Roten Kreuz. "Wir bewegen uns seit Jahren in diesem Level, wachsen sogar leicht", sagt Thomas Ulbrich. Vor allem bei jungen Leuten sei das Interesse groß. Das kann Christian Kade nur bestätigen. "Wir haben für jeden etwas dabei, egal, ob jemand gerne kocht oder lieber Rettungsdienst fährt."
58 Fahrzeuge im Landkreis
Insgesamt ist eine Einsatzflotte von 58 Fahrzeugen für das Rote Kreuz im Landkreis Wunsiedel im Einsatz. "Das sind natürlich nicht alles Rettungswagen, sondern auch Lkw und Spezialfahrzeuge", sagt Christian Schwarz. Mit 21 Rettungswagen sind die Wachen laut des Einsatzleiters relativ gut versorgt, 13 davon sind permanent im Einsatz. Dennoch reichen auch diese manchmal nicht aus.
Brand einer Lagerhalle zur Jahreswende in Marktredwitz: Die Koordinatoren des Einsatzes gehen auf Nummer sicher und verständigen weitere Helfer, sodass auch ehrenamtliche Sanitäter standby stehen. "Etliche unserer hauptamtlichen Mitarbeiter leisten nebenher freiwillig ehrenamtlich Dienste. Das zeugt von einer riesigen Verbundenheit mit dem Roten Kreuz und vom Drang, anderen zu helfen. Ich glaube, genau dies zeichnet uns auch als Arbeitgeber aus", sagt Ulbrich. Bei der Brandkatastrophe im vergangenen Jahr in Thiersheim sind es ebenfalls die ehrenamtlichen Rot-Kreuzler, die am Ende des physisch und psychisch enorm fordernden Einsatzes den Feuerwehrmännern für den Fall der Fälle bis zum Ende zur Seite stehen.
Wer in einen Rettungswagen blickt, der sieht nicht nur die Trage, sondern vor allem Medizintechnik pur. So gehört in jedem Wagen ein EKG mit Defibrilator, ein elektronisches Blutdruckmessgerät, eine Absaugpumpe für Erbrochenes und einiges mehr zur Ausstattung. Und da sich die Gesellschaft ändert, hat das BRK im Landkreis sogar in Wunsiedel eine Spezialtrage für Übergewichtige vorrätig. "Ja, auch diese benötigen wir immer mal wieder", sagt Rettungsdienstleiter Christian Schwarz. "Wir sind eben für alle Situationen gerüstet."
Das Rote Kreuz ist im Landkreis Wunsiedel ein wichtiger Arbeitgeber. Aktuell beschäftigt der Verband 175 Mitarbeiter. Alleine im vergangenen Jahr hat der Kreisverband 19 000 Einsätze geleistet. Dabei fuhren die Beschäftigten und Ehrenamtler zusammen 775 742 Kilometer. 83 218 Notfallrettungen, 22 149 Krankentransporte und 20 231 Notarztfahrten bewältigte das BRK im Landkreis mit den Wachen in Wunsiedel, Marktredwitz, Selb, Röthenbach und Kirchenlamitz.