"Hilfsorganisationen würden geschwächt"
Muss der Rettungsdienst künftig europaweit ausgeschrieben werden? Kreisgeschäftsführer Thomas Ulbrich vom BRK Wunsiedel hofft, dass es nicht so weit kommt.
Wunsiedel - Ein privater Anbieter von Krankentransporten und Notfallrettung hat vor dem Europäischen Gerichtshof Klage eingereicht: Er möchte, dass rettungsdienstliche Leistungen generell in bestimmten Zeiträumen europaweit vergeben werden. Falls er Recht bekommt, würde das bedeuten, dass Rettungsdienstleistungen künftig alle fünf bis sechs Jahre neu ausgeschrieben und dann auch private Anbieter miteinbezogen werden müssten.
Herr Ulbrich, ist diese Idee neu?
Grundsätzlich ist der Ansatz, Kosten im Rettungsdienst durch Ausschreibungen einzusparen, nicht neu. Diese Debatte beschäftigt uns schon seit mehreren Jahren. Der Grundgedanke entstand aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot, Leistungen von privaten oder gar ausländischen Anbietern billig einzukaufen. Die Umsetzung hätte jedoch zur Folge, dass die örtlichen Hilfsorganisationen - wie auch der BRK-Kreisverband Wunsiedel - in ihrer Funktion für den Zivil- und Katastrophenschutz deutlich geschwächt würden.
Glauben Sie, dass die Klage des privaten Anbieters Erfolg hat?
Aus meiner Sicht sehe ich wenige Chancen für den Kläger. Die jetzige flächendeckende Struktur des Bayerischen Roten Kreuzes stellt deutliche Vorzüge für die Bevölkerung dar. Sollte die Klage jedoch einen Erfolg verzeichnen, hätte das schwerwiegende Folgen für das Ehrenamt und die Leistungen des Rettungsdienstes.
Was würde es für den BRK- Kreisverband Wunsiedel bedeuten, wenn die rettungsdienstlichen Leistungen im Abstand von nur wenigen Jahren immer wieder neu ausgeschrieben werden müssten?
Eine für wenige Jahre erteilte Konzession betrachte ich äußerst kritisch. Die Qualität der geforderten Leistungen ist zu einem nicht unerheblichen Anteil von profunden Ortskenntnissen und den Kenntnissen der lokalen Infrastruktur abhängig. Solches Wissen muss über Jahre aufgebaut werden. Bei jedem Wechsel von Rettungsdienstanbietern fangen diese wieder bei Null an. Auch die dann zeitlich kurz gefassten Arbeitsverträge mit den Beschäftigten dienen keinesfalls der Dienstleistungsqualität. Ein laufender Personalwechsel wäre dadurch programmiert und würde einen deutlichen Qualitätsverlust bei den Hilfeleistungen mit sich bringen. Als Beispiel möchte ich unseren Rettungsstellplatz in Arzberg/Röthenbach erwähnen. Die Konzession zum Betrieb der Einsatzstelle ist auf zehn Jahre vereinbart und lässt sich nach meiner Meinung kaum in einem kürzeren Konzessionszyklus vertragskonform betreiben.
Wie viele Mitarbeiter hat der Kreisverband und welche Auswirkungen hätte die Ungewissheit der Arbeitsplätze für sie?
Im BRK-Kreisverband Wunsiedel sind aktuell 147 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt. Davon befinden sich 14 in einem Ausbildungsverhältnis, zwölf zur dreijährigen Ausbildung als Notfall-Sanitäter. Im Rettungsdienst sind 76 Mitarbeiter eingesetzt und sorgten im Jahr 2018 mit 20 868 Notfall-, Notarzt- und Krankentransporteinsätzen für die Sicherheit der Bewohner im Landkreis. Die hauptamtlichen Mitarbeiter werden von 1500 ehrenamtlichen Einsatzkräften unterstützt. Die Ungewissheit bedeutet auch für uns eine Gefahr. So wäre der Einsatz von Rettungsdienstmitarbeitern in anderen Aufgabenfeldern des Kreisverbandes aufgrund ihrer Spezialausbildung kaum möglich. Im schlimmsten Fall müssten wir betriebsbedingte Kündigungen aussprechen.
Müssten Ihre Mitarbeiter unter Umständen an einen anderen Einsatzort wechseln?
Der Wechsel zu einem anderen Einsatzort beziehungsweise BRK-Kreisverband wäre sehr schwierig. Alle Arbeitsverträge unserer Mitarbeiter sind mit dem BRK-Kreisverband Wunsiedel abgeschlossen und nicht mit dem Bayerischen Roten Kreuz. Eine Versetzung innerhalb des Verbandes wäre daher nur mit Zustimmung des jeweiligen Mitarbeiters möglich. Für einen Großteil unserer Beschäftigten wäre ein Arbeitsplatzwechsel in ein Ballungsgebiet nicht realisierbar. Viele haben zusammen mit ihren Familien im Landkreis Wunsiedel ihren Lebensmittelpunkt und auch in Wohnimmobilien investiert.
Würde die Bevölkerung es merken, wenn die Anbieter immer wieder wechseln würden?
Ein ständiger Wechsel der Anbieter hätte auch für die Menschen in unserem Landkreis erhebliche negative Auswirkungen. Gerade mit unserer Struktur, der Mischung aus Haupt- und Ehrenamt, gelingt uns eine umfassende Hilfe in allen Gebieten unseres Landkreises - auch über die Grenzen hinaus. Unsere ehrenamtlichen Helfer leisten einen unschätzbaren Wert im Kreisverband und überbrücken damit zeitliche Verschiebungen der hauptamtlich besetzten Rettungsmittel.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Die Schneekatastrophe am 10. Januar auf der A 93 hat sehr deutlich das Zusammenspiel zwischen dem Rettungsdienst und dem Katastrophenschutz gezeigt. Aus unseren ehrenamtlichen Gliederungen waren 50 Einsatzkräfte zur Unterstützung des Rettungsdienstes vor Ort. Ob dieses Leistungsportfolio von privaten Anbietern eingebracht werden kann, bezweifle ich sehr.
Die Fragen stellte Kerstin Starke.