Im Traum geht das Impfen weiter
Tanja Strößenreuther ist die Frau mit der Spritze. Seit dem Impfstart Mitte Dezember verabreicht sie in Wunsiedel das Serum, das die Pandemie eindämmen soll. Ihr Rekord: 450 Patienten pro Tag.
Wunsiedel. Impfstoff aufbereiten, auf Spritzen aufziehen und den Patienten injizieren: Das ist seit Mitte Dezember Tanja Strößenreuthers Aufgabe im Wunsiedler Impfzentrum. Die Rettungssanitäterin überlegte nicht lange, als BRK-Kreisgeschäftsführer Thomas Ulbrich sie fragte, ob sie sich vorstellen könnte, diese Aufgabe zu übernehmen. "Impfen zu können ist das Beste, was uns in der Pandemie passieren kann." Vom ersten Tag an war die Leupoldsdorferin dabei. Ihren bisherigen Rekord erzielte sie am Ostersamstag, an dem sie rund 450 Patienten immunisierte. Wie berichtet, sind an diesem Tag erstmals über 1000 Landkreisbewohner in Wunsiedel geimpft worden.
"Die meisten Leute sind unglaublich glücklich und dankbar, wenn sie zu uns kommen dürfen", sagt die Sanitäterin. Viele hofften, dass das Leben dank der Impfung wieder normaler werde. Gerade ältere Leute sehnten sich danach, ihre Kinder und Enkelkinder wiederzusehen.
Dennoch hätten etliche Patienten Angst vor der Spritze. Unbegründet fürchteten sich manche vor einer langen Nadel. Tanja Strößenreuther zeigt den Patienten dann zur Beruhigung ihre Spitze mit der kurzen, dünnen Nadel und erklärt: "Das Ganze ist nicht schlimmer als ein Mückenstich." Nach dem Piks hört sie dann oft: "Was, Sie sind schon fertig? Ich habe gar nichts gemerkt."
Erstaunlicherweise bibberten ausgerechnet "unglaublich viele große, g'standne Mannsbilder" vor der Spritze. Wenn jemand ganz schlimm leidet, ruft die 41-Jährige eine Kollegin zu Hilfe. "Dann lenkt eine den Patienten mit einem Gespräch ab, die andere impft." Hilfreich sei, personenbezogene Fragen zu stellen. Bei älteren Leuten hätten sich zum Beispiel Gespräche über Kinder und Enkel bewährt, bei Lehrern Fragen zum Distanzunterricht. Bislang habe das gut funktioniert - zumindest sei ihr noch kein Patient aus Angst umgekippt.
Gerade Senioren seien froh, wenn sie endlich mal rauskämen, und nutzten gerne die Gelegenheit, sich im Impfzentrum ein wenig zu unterhalten. "Wir fertigen die Patienten nicht einfach ab, sondern versuchen, ein paar nette Sätze mit jedem zu sprechen", sagt die Rettungssanitäterin. Höre einer nach der Impfung allerdings gar nicht mehr auf zu reden, "stehe ich auf, verabschiede mich freundlich und wische aus der Impfkabine raus".
Sehr unterschiedlich fielen die Meinungen über den Impfstoff Astrazeneca aus. Manche sagten, es sei ihnen völlig egal, was sie bekämen - Hauptsache, sie würden endlich immunisiert. Andere weigerten sich, Astrazeneca zu akzeptieren, erzählt Strößenreuther. "Wir versuchen zu erklären, dass dieses Vakzin genau so gut ist wie andere." Viele Medikamente hätten weit stärkere Nebenwirkungen. Ab dem 19. April werde Astrazeneca ohnehin nur noch von den Hausärzten angeboten, lediglich die Zweitimpfungen für über 60-Jährige fänden mit diesem Stoff noch im Impfzentrum statt.
Tanja Strößenreuther verhehlt nicht, dass ihre neue Aufgabe oft anstrengend ist. "Teilweise impfen wir zehn bis zwölf Stunden, auch über die Osterfeiertag ging es durch." Nach langen Schichten komme es vor, dass sie schlecht abschalten könne, erzählt die Sanitäterin. "Ab und zu wache ich nachts auf und merke, dass ich vom Impfen geträumt habe."
Zu Strößenreuthers Kollegen zählen rund 25 BRK-Mitarbeiter, acht Soldaten, Ehrenamtliche der BRK-Bereitschaft und der Bergwacht, außerdem Ärzte des Gesundheitsamtes und niedergelassene Mediziner, die teilweise Personal zur Unterstützung mitbringen. In der Regel übernehmen zwei Ärzte die Beratung, zwei medizinische Fachkräfte geben die Spitzen.
Alle Mitarbeiter des Zentrums würden jeden Morgen vor Dienstbeginn getestet, zudem seien alle zweimal geimpft. "Es geht nicht nur um die eigene Gesundheit, sondern auch um die der anderen", sagt die 41-Jährige. Während der ersten Welle hat sie im Rettungsdienst und auf der Intensivstation erlebt, wie schlimm Corona Menschen treffen kann - nicht nur ältere Leute, sondern auch junge. "Dann akzeptiere ich lieber diesen Piks. Wer will schon schuld sein, wenn jemand einen schweren Krankheitsverlauf durchleiden muss?" Die Sanitäterin hofft, dass viele Menschen, die noch unsicher sind, sich letztendlich doch für die Impfung entscheiden.