Insolvenzanträge nehmen zu
Mehr Verbraucher melden sich im Kreis Wunsiedel zahlungsunfähig. Ursache ist laut Schuldnerberaterin Adeline Baumgärtel vor allem ein neues Gesetz und weniger die Pandemie.
Die Zahlen klingen erschreckend: Allein in den ersten sechs Wochen dieses Jahres beantragten 53 Hochfranken ein privates Insolvenzverfahren am Amtsgericht Hof - im Jahr zuvor waren im gleichen Zeitraum lediglich 33 Verbraucher aus den Landkreisen Wunsiedel und Hof pleite. Auch bei der BRK-Schuldnerberatung im Landkreis Wunsiedel summieren sich die Fälle: Adeline Baumgärtel berät aktuell etwa 300 Schuldner und stellt rund fünf Insolvenzanträge pro Woche. "Normalerweise sind es nur zwei pro Woche", sagt die Beraterin. Die Vermutung, dass sich die Auswirkungen der Pandemie bemerkbar machen, liegt nahe. Natürlich mache Corona es zum Beispiel für Arbeitslose ab 50 noch schwerer, wieder in Lohn und Brot zu kommen. Dennoch sei das aktuelle Plus bei den Verbraucherinsolvenzen mehrheitlich nicht Corona geschuldet.
Ursache für die aktuelle Zunahme der Insolvenzen sei vielmehr ein neues, bundesweit gültiges Gesetz. Demnach können überschuldete Verbraucher bereits nach drei Jahren von ihren Restschulden befreit werden, statt wie bisher erst nach fünf oder sechs Jahren. Da die Schuldnerberater schon seit Spätsommer wussten, dass dieses neue Gesetz kommen soll, "haben wir die Insolvenzverfahren im vergangenen Jahr geschoben und geschoben", erklärt Baumgärtel. Es wäre schließlich fahrlässig gewesen, den Klienten noch das alte Recht zuzumuten. "Deshalb haben wir seit Ende August bis Dezember kaum einen Insolvenzantrag gestellt - natürlich sind es jetzt umso mehr." Denn die kürzere Verfahrensdauer sei zwar erst im Dezember beschlossen worden, gelte aber rückwirkend ab 1. Oktober.
Mit dieser Verkürzung auf drei Jahre will der Gesetzgeber Schuldnern früher die Chance auf einen wirtschaftlichen Neuanfang geben und mehr gesellschaftliche Teilhabe erreichen. Adeline Baumgärtel findet das richtig. Denn die Masse ihrer Klienten seien ganz normale Menschen, die durch widrige Umstände wie Scheidung, längere Arbeitslosigkeit oder Krankheit in die Schuldenfalle geraten seien. Corona sei aktuell noch selten der Grund für eine finanzielle Schieflage, die Ursachen lägen meist weiter zurück, sagt Baumgärtel.
Zwar kämen auch Kurzarbeiter zur Beratung, "aber nicht die Massen, die uns prophezeit wurden", erklärt die Beraterin. Diese hänge auch damit zusammen, dass die Menschen im Lockdown kaum Möglichkeiten hätten, viel Geld auszugeben. "Die Lebensbedingungen passen sich gerade den knapperen Kassen an", sagt Baumgärtel. Weil Geld aktuell fast nur für Essen und Trinken zu Hause gebraucht werde, kämen viele noch mit ihrem Kurzarbeitergeld aus. Wie berichtet, sind derzeit 4764 Fichtelgebirgler im Kreis Wunsiedel in Kurzarbeit, das sind 16,2 Prozent und damit weit mehr als in den Nachbarlandkreisen.
"Der nächste Ansturm auf die Schuldnerberatung wird voraussichtlich kommen, wenn das Leben wieder normal weitergeht", meint Baumgärtel. Denn dann bräuchten die Menschen wieder mehr Mittel für Gaststätten, Shopping, Urlaub, Geschenke und Kultur und merkten wahrscheinlich, dass das Kurzarbeitergeld nicht reiche.
Die größten Fehler
Seit zehn Jahren berät Adeline Baumgärtel Schuldner. Sie weiß, welche Verhaltensweisen ihre Klienten häufig eine Insolvenz verursachen:
- Fehlender Überblick über Ein- und Ausgaben sowie Ratenzahlungen
- Schnelle Bereitschaft zur Kreditaufnahme, die als einfachste Lösung angesehen wird.
- Fehlende Kenntnisse über den Umgang mit Geld: Statt zu sparen, werden Wünsche sofort erfüllt.
- Leichte Beeinflussbarkeit durch Werbung.
- Statusdenken: Es muss das neueste iPhone oder ein luxuriöses Auto sein.